Cover
Titel
Saving the World from Nuclear War. The June 12, 1982 Disarmament Rally and Beyond


Autor(en)
Intondi, Vincent J.
Reihe
Johns Hopkins Nuclear History and Contemporary Affairs
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 138 S.
Preis
£ 16.87
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Richard Rohrmoser, Universität Mannheim

„Aufstehn! Für den Frieden“ – unter diesem Motto versammelten sich am 10. Juni 1982 rund eine halbe Million Menschen auf der Bonner Hofgartenwiese zur berühmtesten von vielen Großdemonstrationen der Friedensbewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss. Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen, Grünen und der SPD forderte dort die Entmilitarisierung der Gesellschaft und die „Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa“1, während sich zeitgleich auf der anderen Rheinseite 15 Staats- und Regierungschefs zu einem NATO-Gipfel beim damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) trafen. Bei der Schlusskundgebung performte der Aktionskünstler Joseph Beuys den Song „Sonne statt Reagan“ und die Theologin Dorothee Sölle erklärte, dass die Friedensbewegung nicht nur eine andere Interpretation der Bergpredigt als der Bundeskanzler, sondern auch eine andere Vorstellung von Freiheit als US-Präsident Reagan habe.2 Doch nicht nur in der Bundesrepublik und in Europa, wo im Folgejahr 108 Pershing-II-Raketen und 464 Cruise Missiles stationiert wurden, wodurch der Kalte Krieg nach der Kubakrise von 1962 seinen zweiten Höhepunkt errreicht3, kam es zu historischen Großdemonstrationen und beispiellosen Protestaktionen im Stile des zivilen Ungehorsams.

In den USA versammelten sich zwei Tage später, am 12. Juni 1982, etwa eine Million Menschen im Central Park von New York City und demonstrierten für die Beendigung des atomaren Wettrüstens. Damit stellte diese Veranstaltung nicht nur die größte Demonstration gegen Atomwaffen, sondern sogar die größte politische Demonstration in der US-amerikanischen Geschichte dar. Mit „Saving the World from Nuclear War. The June 12, 1982 Disarmament Rally and Beyond“ hat Vincent J. Intondi ein Buch publiziert, das sich (fast) ausschließlich auf dieses eine Event fokussiert und damit eine Lücke in der Geschichtswissenschaft zum Themenbereich „Zweiter Kalter Krieg“4 schließt. Das flüssig lesbare Buch beleuchtet somit ein bis dato nicht sonderlich beachtetes Ereignis der globalen Protestgeschichte und ist eine überfällige Ergänzung zur Erforschung der „Nuclear-Freeze“-Kampagne. Die lediglich 105 Seiten lange Publikation, die keine Qualifikationsschrift darstellt, sondern in erster Linie dokumentarischen Charakter besitzt, lässt jedoch einige Fragen unbeantwortet.

Intondi strukturiert das Buch chronologisch in insgesamt fünf Kapitel: Im einleitenden ersten Teil („Introduction“) liefert er einen Überblick über sein Vorhaben. Das zweite Kapitel („The Movement Awakens“) skizziert die kontextuelle Vorgeschichte der Friedensbewegung in den USA und erläutert, wie diese nach dem Vietnamkrieg in einen Dornröschenschlaf fiel und erst durch diverse Ereignisse Ende der 1970er-Jahre – die Stationierung der sowjetischen SS-20-Raketen in Osteuropa, US-Präsident Carters Pläne zur Entwicklung einer Neutronenbombe, der Reaktorunfall im Kernkraftwerk Three Mile Island in Harrisburg (Pennsylvania) – wieder erwachte. Überraschend ist allerdings, dass der NATO-Doppelbeschluss überhaupt keine Erwähnung findet. Selbst eine Passage über die bedeutendsten Globalereignisse des Jahres 1979 wie etwa die Iranische Revolution und der Sturz des Schahs Reza Pahlavi durch Ayatollah Ruhollah Khomeini oder die sowjetische Invasion in Afghanistan (S. 17) thematisiert die folgenschwere Entscheidung der NATO vom 12. Dezember 1979 in Brüssel mit keinem einzigen Satz. Ebenso wenig ist im Folgenden die Rede von Pershing-II-Raketen beziehungsweise Cruise Missiles und deren Zerstörungspotenziale.

Gemessen am Gesamtumfang des Buches behandelt das dritte Kapitel („Planning the Rally“) die Vorbereitungen der Großdemonstration vom 12. Juni 1982 sehr detailliert und thematisiert auch den Konnex zwischen Nuklearrüstung und Kategorien wie Race, Class und Gender, also inwiefern insbesondere marginalisierte Gruppen federführend an den Kampagnen der Friedensbewegung beteiligt waren. Gewinnbringend sind in diesem Abschnitt insbesondere die Zitate aus den Interviews mit etlichen Planer:innen der Demonstration. Der vorletzte Teil („June 12, 1982“) ist eine ausführliche Dokumentation der Veranstaltung selbst, zu der viele Prominente kamen, wie etwa Bob Dylan, Joan Baez oder sogar Patti Davis, die Tochter von US-Präsident Reagan. Das abschließende Kapitel („The Legacy of June 12 and Beyond“) versucht schließlich auf wenigen Seiten, die Folgen der Demonstration sowohl für die Bewegung als auch für die Gesamtgesellschaft zu erörtern.

Die Darstellung der Demonstration vom 12. Juni 1982 liefert einen konzisen Überblick über diesen bis dato „blinden Fleck“ der Protestforschung, jedoch ist die sehr komprimierte Form zugleich die Schwäche des Buches, das keine zentrale Forschungsfrage oder These aufstellt. Analytisch wird das Buch lediglich bei der Untersuchung der Zusammensetzung des Planungsteams der Demonstration und der Frage, wie inklusiv die Veranstaltung in Hinblick auf die Specher:innen, Performer:innen etc. sein sollte, ohne ihren subversiven Charakter zu verlieren. Auch bei der Untersuchung der Geschehnisse könnte die Analyse oftmals ausführlicher sein: So wird die sogenannte „largest action of disarmament-related, non violent civil disobedience ever“ (S. 89), die am 14. Juni 1982 vor dem UN-Hauptquartier in New York folgte, nur kurz auf lediglich circa einer Seite angesprochen, ohne die vielen flankierenden Fragen wie etwa zu den juristischen und politischen Konsequenzen für die Blockierenden zu thematisieren. Ebenso bleibt offen, wie US-Präsident Reagan auf die größte politische Demonstration in der US-amerikanischen Geschichte reagierte. Intondi schreibt dazu, dass sich Reagan am Wochenende des 12. Juni 1982 im Ferienrefugium Camp David befand und es daher unbekannt ist, ob er die Nachrichten zur Großveranstaltung verfolgte (vgl. S. 94). Statements oder Korrespondenzen werden dazu jedenfalls nicht behandelt. In diesem Kontext verweist der Autor lediglich auf Verteidigungsminister Caspar Weinberger und dessen Klarstellung, dass die Demonstration zu keinerlei Veränderungen in der offiziellen Politik geführt habe. Bereits zwei Seiten weiter wird jedoch beschrieben, dass Weinberger später dem öffentlichen Druck eine Wirkung auf politische Entscheidungen attestierte: „In a democratic society you’ve got to respond to what people want in one way or another” (S. 96). Freilich überschreitet die Forschungsfrage, inwiefern die eine Million Demonstrant:innen vom 12. Juni 1982 den Kurs des US-Präsidenten beeinflusste, das eigentliche Thema und den Anspruch dieses Buches. Die Publikation könnte jedoch zumindest kursorisch auf diese Forschungsdesiderate verweisen. Alles in allem liegen die Stärken von Vincent J. intondis Buch „Saving the World from Nuclear War. The June 12, 1982 Disarmament Rally and Beyond“ deutlich im deskriptiven Bereich und der Beleuchtung eines noch unterforschten Protestereignisses, während im analytischen Bereich weitere wichtige Forschungsfragen erst angestoßen wurden.

Anmerkungen:
1 Winfried Loth, Die Rettung der Welt. Entspannungspolitik im Kalten Krieg, Frankfurt am Main 2016, S. 247.
2 Jürgen Leinemann, Wir zappelten dazwischen rum, in: Der Spiegel. Nr. 24, 13.06.1982, S. 19–20.
3 Siehe dazu: Georg Schild, 1983. Das gefährlichste Jahr des Kalten Krieges, Paderborn 2013.
4 Philipp Gassert / Tim Geiger / Hermann Wentker (Hrsg.), Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung. Der NATO-Doppelbeschluss in deutsch-deutscher Perspektive, München 2011.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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